Ein Interview mit Geschäftsführer Marco Schmid über mutige Transformation, bremsendes Silodenken und Vertrauen in die eigenen Mitarbeiter bei Schmid Elektronik. Wie für viele Unternehmen in der Elektronikbranche ist Veränderung eine wichtige Investition in die Zukunftsfähigkeit. Mit katalytischer Führung gelang der Wandel der Unternehmenskultur, der neue Kunden und effiziente Prozesse brachte.
Champions der Zukunftsfähigkeit
Die ELEKTRONIKPRAXIS begleitet die Elektronikbranche nun schon seit fast 60 Jahren – nicht nur durch technische Berichterstattung, sondern auch durch Einblicke in die Unternehmen selbst. Mit unserer Initiative Zukunftsfähigkeit stellen wir Unternehmen vor, die durch Innovation und eine vorausschauende Organisation erfolgreich sind und sich langfristig am Markt behaupten. Die „Champions der Zukunftsfähigkeit“ zeichnen sich dadurch aus, dass sie intern so aufgestellt sind, dass sie flexibel auf externe Herausforderungen reagieren und proaktiv neue Handlungsoptionen nutzen, statt sich von Problemen überwältigen zu lassen.
Ein solcher Champion ist Schmid Elektronik. Geschäftsführer Marco Schmid spricht im Interview über den umfassenden Wandel, den sein Unternehmen durchlaufen hat. Mit einer radikalen Neuausrichtung, die von der Unternehmenskultur bis zur operativen Struktur reichte, hat Schmid Elektronik bewiesen, dass Transformation nicht nur möglich ist, sondern auch einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil darstellen kann.
Manifest der Veränderungswirksamkeit
Da für jedes Unternehmen individuelle Maßnahmen notwendig sind, die nicht einfach kopiert werden können, haben wir das Manifest der Veränderungswirksamkeit als Leitfaden für das Management in komplexen Zeiten entwickelt. Fabian Biebl, Organisationsentwickler bei Colenet und Mitinitiator der Initiative, hat das Manifest mit verfasst und nutzt es als Rahmen für die Vor- und Nachbereitung der Interviews mit den Champion-Kandidaten. Das Manifest hilft dabei, übertragbare Erkenntnisse für andere Unternehmen zu gewinnen und bietet eine Orientierung für Transformationsprozesse. Prinzipien wie übergreifende Zusammenarbeit, klare Handlungsoptionen und der Mut, Unsicherheiten auszuhalten, prägen die Denkweise und den Ansatz, um die eigene Zukunftsfähigkeit zu gestalten.

Ein grundlegender Wandel der Unternehmenskultur
„Vertrauen ist die zentrale Säule unseres Erfolgs – ohne Vertrauen hätten wir diesen Wandel nicht geschafft“, sagt Marco Schmid, Inhaber von Schmid Elektronik, gleich zu Beginn unseres Gesprächs. Im Kern geht es um einen grundlegenden Wandel der Unternehmenskultur – weg von verkrusteten Hierarchien und Silodenken hin zu agilen, dezentralen Strukturen. Dieser Wandel hat nicht nur das operative Geschäft nachhaltig gestärkt, sondern auch eine Kultur der Zusammenarbeit geschaffen, die sich positiv auf das gesamte Unternehmen auswirkt.
Der Erfolg gibt Schmid Recht und zeigt sich messbar in neuen Kundenbeziehungen und erhöhter Resilienz. Mit Freude berichtet Schmid: „Allein im letzten Jahr konnten wir fünf bedeutende Neukunden gewinnen, darunter Unternehmen, die bewusst auf Zukunftstechnologien wie IoT setzen.“ Solche Kunden suchen nicht nur nach innovativen Lösungen, sondern nach einem Partner, der Flexibilität und Pioniergeist verkörpert. Doch nicht nur die Zahlen sprechen für den Wandel, auch die innere Kultur hat sich drastisch verändert.
Mitarbeiter haben heute mehr Eigenverantwortung und Lösungskompetenz, was sich auch in der Struktur der Meetings zeigt. „Unsere Verwaltungsratssitzungen dauerten früher drei Stunden, heute sind wir dank klarer Vorbereitung und Fokussierung auf das Wesentliche in nur noch eineinhalb Stunden durch“, sagt Schmid. Die gesteigerte Effizienz ist ein Resultat der neuen Firmenphilosophie. Sie setzt auf Handlungsoptionen und konsequente Fokussierung, anstatt alte Prozesse endlos zu wiederholen [Manifest: Fokussierung und Fertigstellen sowie Handlungsoptionen haben]. Eine konsequente Fokussierung steht über der bloßen Optimierung von Auslastung.
Das Interview in ganzer Länge als Video
Eine extrem belastende Zeit und ein radikaler Schritt
Im Gespräch zeigte Marco Schmid ehrlich, vor welchen persönlichen Herausforderungen er stand, die der Wandel mit sich brachte. Der Ursprung der Veränderung lag 2015 in einer tiefen Unruhe, verursacht durch stagnierende Umsätze und den Wechselkursdruck des starken Franken. „Es war eine extrem belastende Zeit“, erinnert sich Schmid, „wir mussten uns fragen, ob wir so weitermachen können oder ob wir den Mut haben, radikal etwas zu ändern.“ [Manifest: Kulturbewusste Veränderung]
Diese Unsicherheit führte zu einem intensiven Druck, der letztlich die Handlungsnotwendigkeit offensichtlich machte. Veränderungen brauchen Mut, Unsicherheit auszuhalten, anstatt zwanghaft Risiken zu vermeiden [Manifest: Gefahren aushalten können]. Statt in eine Haltung des Machterhalts zu verfallen, entschloss sich Schmid zur Transformation: „Es waren Emotionen wie Frust und Trotz, die mich angetrieben haben. Dieser Frust war der entscheidende Funke, der mich nicht nur zur Veränderung, sondern zu einer tiefgreifenden Neuausrichtung angetrieben hat. Trotz all der Unsicherheiten wusste ich, dass wir einen radikalen Schritt gehen mussten, um wieder konkurrenzfähig und zukunftsfähig zu werden“, sagte Schmid. Dabei wurde ihm klar, dass Vertrauen in die Mitarbeiter der zentrale Pfeiler des Erfolgs sein würde.
Die Veränderung sollte nicht von oben herab verordnet werden. Stattdessen bemühte sich Schmid, Vertrauen aufzubauen. „Vertrauen ist der zentrale Pfeiler des Erfolgs. Wir mussten Verantwortung über die Abteilungsgrenzen hinweg verteilen“, sagt Schmid. Er wollte ein Umfeld schaffen, in dem Mitarbeiter mutig neue Ansätze ausprobieren können, ohne Angst vor Fehlern haben zu müssen. Diese Kultur des Vertrauens und der übergreifenden Kollaboration ist der Schlüssel zum Erfolg der Transformation [Manifest: Übergreifende Kollaboration]. Denn eine übergreifende Kollaboration hat Vorrang vor Abteilungsdenken und Machterhalt.
Von der Identitätskrise zur zukunftsfähigen Organisation


Mit dem Erkennen der Schwächen begann die Transformation. Ein zentrales Konzept war das „umgedrehte” Conway’s Law mit dem Marco Schmid die Strukturen seines Unternehmens konsequent auf Kundenorientierung ausrichtete (Bild 1). Ähnlich wie bei anderen traditionellen Unternehmen gab es auch bei Schmid Elektronik Silodenken, starre Hierarchien und ineffiziente, intern Prozesse. Schmid beschreibt den Wendepunkt: „Der entscheidende Moment kam, als wir uns die Frage stellten: ‘Sind wir noch zukunftsfähig?’“.
Ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Transformation war das ehrliche Selbstassessment des Unternehmens: Mit Methoden die Stabilität, Agilität und Anpassungsfähigkeit einer Organisation bewerten, bekam das Unternehmen ein klares Bild seiner Defizite. „Es ist wichtig, sich früh zu entscheiden und nicht auf das perfekte Ergebnis zu warten“, sagt Schmid [Manifest: Früh zu entscheiden]

Parallel dazu wurde der Nordstern des Unternehmens, Schmid spricht vom „Why“, neu entdeckt. Schmid beschreibt, wie aus einer Woche intensiver Arbeit in einem Kloster mit den Mitarbeitern ein gemeinsamer „Pioniergeist und Spielraum“ als Kern der Firmen-DNA herausgearbeitet wurde (Bild 3). „Als wir unseren gemeinsamen Pioniergeist und Spielraum als Kern unserer Firmen-DNA erkannt hatten, gab das dem gesamten Team den Antrieb, die nächsten Schritte zu gehen“, sagt Schmid.
Der Shell Eco-marathon – bestehende Grenzen sprengen

Ein zentraler Wendepunkt der Veränderung war der Shell Eco-marathon. Die Schmid Elektronik wurde vor die Aufgabe gestellt, in nur acht Wochen ein Telemetriesystem für Rennwagen zu liefern – eine scheinbar unmögliche Mission. „Am Anfang war das Team verständlicherweise sehr nervös und hatte Zweifel, ob wir diese Herausforderung überhaupt bewältigen könnten“, erinnert sich Schmid.
„Die kurze Frist und die hohen Anforderungen schüchterten viele ein. Aber genau diese Angst hat uns zusammengeschweißt. Wir haben gelernt, dass wir nur erfolgreich sein können, wenn wir als Einheit agieren und uns gegenseitig unterstützen.“ Doch Schmid entschloss sich, das Risiko einzugehen: „Wir hatten die Wahl, es zu versuchen oder nicht – und wir haben uns entschieden, die Chance zu nutzen.“ Das Projekt wurde erfolgreich abgeschlossen und zeigte dem gesamten Unternehmen, wozu es fähig ist, wenn es bestehende Grenzen sprengt. Es wurde ein symbolischer Meilenstein, der Mut belohnte und Unsicherheit als eine Quelle von Wachstum akzeptierte (Bild 4). Denn echte Veränderung kommt oft aus dem Mut zum Unbekannten [Manifest: Ende-zu-Ende Wertschöpfung].
Über die Schmid Elektronik AG und Marco Schmid
Schmid Elektronik ist ein globaler, unabhängiger Schweizer Lösungsanbieter für Industrieelektronik und Embedded-Systeme. Schmid vereint Engineering-Dienstleistungen, Produktionsdienstleistungen (EMS) und NI-LabVIEW-Plattformen unter einem Dach. Als One-Stop-Shop unterstützt das Unternehmen seine Kunden vom Design bis zum Serienprodukt. Das 1972 gegründete Familienunternehmen hat 40 Mitarbeiter und ist Integrationspartner von NI/Emerson sowie Technologiepartner des Shell Eco-marathon, einer Community für saubere Mobilität und umweltfreundlichen Energieverbrauch.
Schmid ist Inhaber der Marke „Zbrain“, grafisch mit LabVIEW programmierbare Embedded-Systeme. Die Geschichte von Schmid Elektronik gibt es hier. Branchen: Energie, Mobilität, Messtechnik, Elektrotechnik, Maschinenbau, Automatisierung und Forschung.
Wer ist der Mensch Marco Schmid?
Als Systemingenieur faszinieren mich Embedded-Systeme, LabVIEW, Python, IoT, Wissensgraphen und KI. Zudem leite ich ein Familienunternehmen mit 40 Mitarbeitern. Als Techniker unterstütze ich dreimal im Jahr studentische Rennteams beim Shell Eco-marathon für nachhaltige Mobilität und Energie. In meiner Freizeit koche ich, reise viel und genieße Camping und Natur. In den Bergen finde ich Ruhe vom Digitalen, im Winter auf den Skipisten und im Sommer auf den Rollerblades.
Probleme schnell lösen und übergreifend zusammenarbeiten

Auf dem Weg zur agilen Organisation setzte Schmid Elektronik konsequent auf Lean-Instrumente wie Kanban und das 5S-Prinzip. [Manifest: Arbeit statt Menschen managen] ist wichtiger, als das Managen von Menschen. Tägliche Stand-Up Meetings sorgen für klare Kommunikation, schnelle Problemlösungen und übergreifende Zusammenarbeit. Besonders wirkungsvoll war das Prinzip 19 + 1: 19 Tage im Monat arbeiten die Mitarbeiter im normalen Prozess, einen Tag arbeiten sie am Prozess. Sie optimieren Abläufe und entfernen Sand aus dem Getriebe. „Das Prinzip 19 + 1 hat sich mehrfach ausgezahlt (Bild 5). Diese Investition in Prozessarbeit hat unsere Effizienz gesteigert und unsere Resilienz im Alltag erhöht“, sagt Schmid. [Manifest: kulturbewusste Veränderungen statt aktionistische Maßnahmen]. Schmid erinnert sich: „Für viele im Team war es emotional sehr herausfordernd, alte Gewohnheiten aufzugeben. Wir haben uns oft gefragt, ob wir das Richtige tun, aber letztlich war es der gemeinsame Wille, etwas Neues und Besseres zu schaffen, der uns durch diese schwierige Phase getragen hat.“
Die Hierarchien wurden zerschlagen, starre Strukturen aufgebrochen
„Wir haben uns einen symbolischen Müllcontainer vorgestellt, in den wir alten Ballast und veraltete Arbeitsweisen geworfen haben. Das half uns, Platz für Neues zu schaffen“, sagt Schmid. Dieser symbolische Akt, veraltete Arbeitsweisen hinter sich zu lassen, war notwendig, um Platz für Neues zu schaffen und die Flexibilität zu erhöhen.
Marco Schmid und sein Unternehmen zeigen eindrucksvoll, wie Transformation zum Wohle der Firma und der Mitarbeiter gelingen kann – mit einer klaren Vision, Vertrauen in die Mitarbeiter und dem Mut, Risiken einzugehen und Unsicherheiten auszuhalten.
Schmid sagt zum Schluss: „Ich würde es noch einmal so machen. Wenn man das richtig macht, mit dem Storytelling, und die Leute mit auf die Reise nimmt, dann gibt es so ein Drehmoment. Die Leute spüren, da geht jetzt was. Wenn sie vergleichen, wie das in anderen Firmen eher statisch ist, dann entwickeln sie plötzlich so einen Stolz, hier dabei zu sein. Das gibt dann diese Zukunftsfähigkeit. Und die Kunden spüren das.“
Die meisten Unternehmen stehen früher oder später vor dieser Herausforderung und müssen den Wandel bewältigen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Externe Inspiration, zum Beispiel durch einen Berater, kann dabei hilfreich sein, denn Veränderung ist in der Regel nicht die Kernkompetenz von Unternehmen. Schmid hat es verstanden, alte Muster zu durchbrechen und dabei immer das Ziel einer zukunftsfähigen Organisation im Auge zu behalten.
Expertenmeinung: Die wesentlichen Erfolgskriterien der Transformation

Die Transformation bei Schmid Elektronik zeigt eindrucksvoll, wie tiefgreifende Veränderungen erfolgreich umgesetzt werden können. Solche Veränderungen erfordern ein klares Problemverständnis, langfristiges Durchhaltevermögen, Disziplin und eine strategisch vorbereitete Vision.
Die innere Aufstellung eines Unternehmens, wie sie im Manifest der Zukunftsfähigkeit dargestellt wird, lässt sich mit dem Betriebssystem eines Computers vergleichen: Sie bildet die Grundlage für alle Entscheidungen. Hier muss im Hinblick auf den Kundennutzen ein anderer „Rechenkern“ aufgebaut werden, der dabei hilft, systemischer auf komplexe äußere Herausforderungen zu reagieren. Ohne solch grundlegende Anpassungen, die für sich alleine oft wenig attraktiv erscheinen, führen Veränderungsbemühungen häufig nur zu einem erhöhten Workload statt zu echten, nachhaltigen Verbesserungen. Im schlimmsten Fall vergrößert sich die Kluft zwischen Mitarbeitern und dem Top-Management.
Ein entscheidender Faktor bei Schmid Elektronik war, dass Geschäftsführer Marco Schmid aktiv mit seinen Mitarbeitern zusammengearbeitet hat, anstatt die Verantwortung zu delegieren. Diese gemeinsame Verantwortung und Mitarbeit schufen nicht nur Vertrauen, sondern steigerten auch das Engagement, die Motivation und damit auch die Attraktivität des Unternehmens für die Mitarbeiter. Die entstandene Transparenz über Ende-zu-Ende-Arbeitsflüsse mittels Kanban, obwohl im Interview nicht explizit erwähnt, war ebenfalls eine wichtige Grundlage für Veränderungen. Probleme und Engpässe müssen sichtbar werden, bevor sie messbar behoben werden können, um die Produktentwicklung zu beschleunigen.
Tiefgreifende Veränderungen fallen oft schwer, da diese nicht zur Kernkompetenz eines Unternehmens gehören. Unternehmenslenkern fällt es häufig schwer, sich im Alltag die Zeit zu nehmen, um Werte zu erarbeiten und vorzuleben, die eine zukunftsfähige Kultur aufbauen. Unterstützung durch Organisationsentwickler, die Verhaltensmuster spiegeln, neue Perspektiven aufzeigen und blinde Flecken aufdecken, ist hierbei oft entscheidend.
Die Zukunftsfähigkeit der Elektronikbranche wird maßgeblich davon abhängen, wie flexibel es Unternehmen gelingt, sich langfristig anzupassen. Dies erfordert Mut, Risiken einzugehen und die Bereitschaft, Veränderungen aktiv zu gestalten. Unternehmen können von erfolgreichen Beispielen wie Schmid Elektronik lernen, indem sie übergreifende Prinzipien anwenden und damit für ihre eigene Organisation spezifische Lösungen finden.
Dieser Artikel ist in der Elektronikpraxis erschienen.